RABINDRANATH TAGORE
(SANGESOPFER)
KURT WOLFF VERLAG
MÜNCHEN
Einzig autorisierte deutsche Ausgabe. Nachder von Rabindranath Tagore selbst veranstaltetenenglischen Ausgabe ins Deutscheübertragen von Marie Luise Gothein. ZweihundertExemplare wurden zweifarbigauf Kaiserlich Japan gedruckt, inGanzleder gebunden und handschriftlichnumeriert
28. bis 32. Tausend
1
Du machtest mich endlos – soist dein Belieben. Dies schwache Gefäßleertest du wieder und wieder undfülltest es immer mit neuem Leben.
Du trugst diese kleine Rohrflöte überHügel und Täler und hauchtest durch sieewig neue Melodien.
Bei dem unsterblichen Druck deinerHände verliert mein kleines Herz seineGrenze in Freude und gebiert unaussprechlicheWorte.
Deine unendlichen Gaben empfangeich nur auf diesen meinen sehr kleinenHänden. Zeitalter vergehn und immergießest du aus, und immer ist Raum, umerfüllt zu werden.
2
Wenn du mir befiehlst zu singen,scheint mir das Herz vor Stolz brechenzu wollen; ich schau in dein Antlitz, undTränen kommen mir in das Auge. All das,was hart und mißtönig ist mir im Leben,zerschmilzt in eine süße Harmonie – undmeine Anbetung breitet die Schwingengleich einem frohen Vogel im Fluge überdie See.
Ich weiß, mein Singen macht dir Freude,ich weiß, nur als Sänger werde ich vordich gelassen.
Ich rühre mit dem Saume der weitausgebreitetenSchwinge des Sangs deineFüße, die nie zu erreichen ich strebenkönnte.
Trunken von Freude des Singens vergeßich mich ganz und nenne dich Freund,der du mein Herr bist.
3
Ich weiß nicht, wie du singest,mein Meister, ich lausche immer in stillemStaunen.
Dein Licht der Musik erleuchtet dieWelt. Der Lebenshauch deiner Musikläuft von Himmel zu Himmel. Der heiligeStrom der Musik durchbricht alle Hindernissevon Stein und stürzet fort.
Mein Herz ersehnt, deinem Sang sichzu einen und ringt umsonst nach Stimme.Ich wollte sprechen, doch Sprache fügtsich dem Sang nicht, da schrei ich getäuschtauf! O du hast mein Herz gefangenin deines Liedes endlosen Maschen, meinMeister.
4
O du meines Lebens Leben! Immerwerd ich mich mühn, rein meinen Leibzu erhalten, wissend, daß auf meinenGliedern lebendig dein Hauch ist.
Immer werd ich mich mühn, Unwahresmir fern vom Denken zu halten, wissend:du bist die Wahrheit, die mir im Geistedas Licht der Vernunft entzündet.
Immer werd ich mich mühn, von meinemHerzen die Übel zu treiben und meineLiebe in Blüte zu halten, wissend: duthronest im Allerheiligsten meines Herzens.
Und es soll immer mein Streben sein:dich offenbaren in meinem Tun, wissend,daß deine Macht mir Kraft gibt zum Handeln.