von
Johann Christian Günther
Herausgegeben von Conrad Höfer
Im Insel-Verlag
zu Leipzig
Betrachtet man genau, was der deutschen Poesie fehlte,so war es ein Gehalt und zwar ein rationeller; antalenten war niemals Mangel. Hier gedenken wir nur Günthers,der ein Poet im vollen Sinne des Worts genanntwerden darf. Ein entschiedenes Talent, begabt mit Sinnlichkeit,einbildungskraft, Gedächtnis, Gabe des Fassens undvergegenwärtigens, fruchtbar im höchsten Grade, rhythmischbequem, geistreich, witzig und dabei vielfach unterrichtet;genug, er besaß alles, was dazu gehört, im Leben ein zweitesleben durch Poesie hervorzubringen, und zwar in dem gemeinen,wirklichen Leben. Wir bewundern seine große Tüchtigkeit,in gelegenheitsgedichten alle Zustände durchs Gefühlzu erhöhen und mit passenden Gesinnungen, Bildern, historischenund fabelhaften Überlieferungen zu schmücken. Dasrohe und Wilde daran gehört seiner Zeit, seiner Lebensweiseund besonders seinem Charakter oder, wenn man will, seinercharakterlosigkeit. Er wußte sich nicht zu zähmen, und sozerrann ihm sein Leben wie sein Dichten.