21.-25. Tausend

LEONHARD FRANK
Die Ursache
Erzählung

1929
Im Insel-Verlag zu Leipzig

Copyright 1915 by Insel-Verlag in Leipzig

Lisa Ertel gewidmet

1

Nach vierzehn unter der ständigen Beobachtungverbrachten Jahren, daß er eine entlarvte Illusionnach der andern für eine Portion Seelenschmutz hattehingeben müssen, verspürte der vermögenslose DichterAnton Seiler im Winter 1907, ohne die Ursache zukennen, unvermittelt und heftig den Drang, von Berlinin die kleine Stadt zu reisen, wo er als Sohn einesWagnergesellen auf die Welt gekommen war.

Die resultatlos verbrauchte Energie hatte sein Gesichtscharf gemacht wie das eines gefährlichen, rücksichtslosenVerbrechers. Alle Reisenden im Abteil fühlteneinen Widerstand, den Dichter mit in die Unterhaltungzu ziehen. Und alle verstummten vor Verwunderung,weil ganz unerwartet die scharfe Verbrechermaske seinesGesichts von einem traurigen Lächeln zerbrochenwurde, als er dem im Seitengang stehenden kleinenMädchen zunickte.

In der Nacht vor dem Reiseentschluß hatte der Dichtervon einem bestimmten Schulausflug, durch den heimatlichenLaubwald, geträumt: der gefürchtete LehrerMager geht voraus, wendet sich drohend um. Da wechseln,wie damals, die fünf Rehe über den Weg. BesonnteMorgendämpfe. Vogelgeschrei. Die Fröhlichkeitgeht durch mit dem Achtjährigen, über den gefährlichenLehrer weg, reißt alle Schulkameraden mit. VonAst zu Ast mit dem Eichhörnchen in die Höhe fliegend,sitzt er auf dem letzten wippenden Zweig der Baumkroneund singt lachend in wildem Glück zum blauenSommerhimmel hinauf. Tief unten staunen die Schulkameraden.Plötzlich ist der Himmel tintenschwarz.Alle sitzen, Milch trinkend, fröhlich im Wirtshausgarten— er allein steht vor dem Zaune. Der LehrerMager hält ein kirchturmgroßes Milchglas in derHand, in der anderen das heiße Herz des Dichters,stopft es ihm ins Gehirn und schließt den Kopf wieder.Mit diesem ununterbrochen schmerzhaft zuckendenDruck hinter der Stirn erlebt der Dichter viele peinigendeDemütigungen späterer Jahre traumhaft vergrößertnoch einmal.

Die Fingernägel tief in die Kopfhaut gekrallt, in demBemühen, das Gehirn freizulegen und den Druck herauszureißen,erwachte er, wußte nicht mehr, was ergeträumt hatte.

Und fand sich etwas später plötzlich auf dem Bahnhof,sah dann stundenlang gedankenlos aus dem Fensterauf die vorübergleitende Landschaft.

„Tanten, Anfangsgründe!“ hörte er wie aus weiterFerne den ihm gegenübersitzenden Herrn zwei Damenzurufen.

„Ja, das ist keine Erziehung.“ Die Damen waren kleinund trugen beide Klemmer. Die vier kurzen Beine baumeltengleichmäßig über dem Kokosteppich.

Der Dichter war vergebens bemüht, sich an seinenTraum zu erinnern.

Die eine Dame sagte: „Wenns auch pedantisch ist, dasist ganz gut für den Jungen.“

„Ja, ich kann auch gar nicht anders. Anfangsgründes

...

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