Heute weiß ich nichts mehr von seinemGesicht. Schmerz und Tränen haben eshinweggeschwemmt. Ich kann die Zügenicht mehr zusammenbringen. Sturm gehtüber die Dächer meiner Stadt und würgtdie letzte Brut der Blätter im Gebüsch.
Gestern Abend kam der Schlag und hieb zu.
Gestern Abend kam dein Sterben überden dunklen Flur zu mir herauf.
Ich hatte, als die Anzeige bei mir war,die Lampe gelöscht. Und nun war nichtsin meinem Zimmer als dein Tod.
Da sah ich dein Gesicht: der schmaleKopf, ein wenig vorgebeugt, die schöneStirn mit knapp hineingescheitelt dunklemHaar, der Mund bitter und froh, der dieWorte nach den Seiten hinunterstreute unddem Sprechen etwas wie leises Schlürfengab, und dann der Augen vergeblicher Versuch,den nervösen Vorhang des Gesichteszu durchbrechen.
Heute weiß ich nichts mehr von diesemGesicht. Schmerz und Tränen haben es hinweggeschwemmt.Ich bin erschüttert undtraurig allein in meinem Haus.
Die dünne Scheibe von zwei Tagen lagnoch vor dem Krieg, als ich in sein Hauskam nach einem wilden Morgengang durchdie Gärten seiner und meiner Stadt Straßburg.Noch liegt die kleine Karte mit seinemNamen vor mir, noch zittert die schmaleHandschrift seiner Einladung auf dem kaltenWeiß: Sleidanstraße 27, eine Straße vollSonne, eine der letzten Barrieren der Stadtvor der entfesselten Süßigkeit der Orangerie.
Auf der Treppe ein Mädchen, das fragt:„Wissen Sie Bescheid?“ Dann der Gang,die Biegung, sein Zimmer mit Büchern,Säbel, halbgepackte Koffer, sein rascherHereintritt, der schlanke Körper geschnellt,von vielen Spannungen überflutet . . . . —wie dieses Unscheinbare unvergeßlich istund aus der Zufälligkeit zurücktaucht inein umschlossenes Sein. O es ist grausam,wie jedes Wort, wie jede Bewegung in unendlicheBeziehungen zusammengefaßt nunvorüberzieht und seltsam schmerzt. Wieist seine Stimme so nah jetzt, ein Deutenzum Fenster, zufälliges Streichen der Handübers Haar . . . — und doch nur unfaßlicheLeere, an der Zorn und Tränen grenzenloszerbrechen.
Wir sprachen von den äußersten Peripherien,mit denen wir uns berührten andiesem Tag und zuerst viel von dieserStadt, die wir beide so über alles liebten.Das Elsaß wird erst später wissen, wases an ihm verloren hat. Es war Selbstverständlichkeit,daß wir von den Herren,die uns nahestehend, schreiben und verlegen,redeten und von der Wissenschaft,die uns stark verband, und es war schön,wie wir von den Rändern unserer Beziehungenhinunterglitten zu den tiefenBrennpunkten innerster Sympathie undaus unzähligen Umwegen zurückschweifendhemmungslos wieder von uns sprachen, jabesonders von uns. Stadlers Leben war indieser Woche zerrissener, als das der meisten,und die schwere Ungewißheit lähmte ihnda, wo sie ihn später hochriß. Zu vieleDinge, die nebeneinanderlaufend irgendwiein den nächsten Tagen sich vereinigt hätten,stürzten nun fassungslos ineinander.
Er fuhr den Sommer zwischen Brüsselund Straßburg hin und her. Noch in dieletzten Tage spielten die Brüsseler Prüfungenhinein. Dazwischen las er in Straßburgzwei Kollegs. Für den ersten Septemberbereitete er seine Reise nach Amerikavor, deren unerhörte nun nahe Weiteihn berauschte. Vor diese Wege, die halbgetan waren, fast vor der Vollendung standenund wieder schrankenlos lockend vorihm lagen, schob sich der Schatten des Kriegs,von dem ich ihn lachend wegzuwenden suchte.Er sagte nicht, daß er an ihn glaube, abereine böse Spannung hielt ihn vibrierendfest und peinigte ihn innerlich. Er freutesich auf seine noch nicht erschienenen neuü